Acta Structuralica

international journal for structuralist research

Series | Book | Chapter

148735

Höherstufige Tradition

Stephan Strasser

pp. 79-80

Abstract

Es ist denkbar, daß es bei Sprachspielen bleibt, bei der Rede, die die Praxis begleitet und möglich macht. Es bleibt dann bei der expliziten oder impliziten Aufforderung: "Mach mit!". Mach mit bei der Feldarbeit, bei der Jagd, beim Fischfang, bei kriegerischen Unternehmungen usw. Aber bei den meisten Kulturen, die wir kennen, kommt noch eine zweite Form von Konstitution hinzu: Die heranwachsende Generation wird auch belehrt — belehrt im engeren Sinne des Wortes. Denn zur Konstitution einer Umwelt gehört auch, daß Dinge, Sachverhalte, Ereignisse zur Sprache kommen, die die jeweilige Situation und die aktuelle Praxis transzendieren. Die Heranwachsenden müssen wissen, welche Sondermenschheit jenseits dieses Flusses, jenseits dieses Gebirges wohnt. Die Bedeutung von Geburt und Tod muß ihnen erklärt werden. Man muß sie darüber unterrichten, wie sie sich gegenüber den Mächten und Kräften, die den Kosmos regieren, zu verhalten haben. Kurzum, die Person des Lehrers tritt hervor, ganz abgesehen davon, ob sie die Gestalt eines Ältesten, eines Priesters oder einer von der Gemeinschaft eigens bestellten Person einnimmt. Ihr ist es zu danken, daß die junge Generation in eine "Weltvorstellung" hineinwächst, die für eine bestimmte Lebenswelt typisch ist. Wenn Husserl von dem (geistig) Lebendigen spricht, die den (geistig) Unlebendigen weckt, dann ist in der Tat an Eltern, aber auch an Lehrer zu denken. Eine Tradition, die Nährboden und Trägerin einer bestimmten Kultur ist, entsteht nicht ohne Lernprozesse.

Publication details

Published in:

Strasser Stephan (1991) Welt im Widerspruch: Gedanken zu einer Phänomenologie als ethischer Fundamentalphilosophie. Dordrecht, Springer.

Pages: 79-80

DOI: 10.1007/978-94-011-2484-3_21

Full citation:

Strasser Stephan (1991) Höherstufige Tradition, In: Welt im Widerspruch, Dordrecht, Springer, 79–80.